Die Entscheidung ein Studium zu beginnen, ist i.d.R. immer ein großer, aber auch aufregender und bedeutender Schritt im Leben eines jungen Menschen. Aber insbesondere Studieninteressierte mit einer (nicht-)sichtbaren Behinderung / chronischen Erkrankung, so auch Betroffene mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS), sollten ihn vorab gut planen.
Fragen, die im Übergang Schule-Studium eine wesentliche Rolle spielen, sind folgende: „Habe ich bereits einen Berufswunsch? Wenn ja, wie kann ich ihn realisieren? Benötige ich hierfür ein Studium und möchte ich überhaupt studieren?“ Gerade für (Fach-)Abiturient*innen mit ASS ist die Klärung dieser zukunftsweisenden Fragen von wesentlicher Bedeutung: Denn besteht keine Affinität zu dem was sie machen, kann Gefahr bestehen, dass sie schnell die Motivation und das Durchhaltevermögen für ihr Studium verlieren.
Mit Erreichen des (Fach-)Abiturs muss aber zwangsläufig nicht die Durchführung eines Studiums verbunden sein, sondern es besteht auch die Möglichkeit eine „Pause“, in Form eines FSJ oder einem freiwilligen Praktikum, einzulegen. Alternativ zum Studium kann auch eine Berufsausbildung durchgeführt werden.
Doch fällt die Entscheidung für ein Studium, so sollten sich Studienanwärter*innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, möglichst frühzeitig auf den sog. „Systemwechsel“ einstellen: Denn der Übergang Schule – Studium bedeutet zugleich auch das Heraustreten aus dem geschützten Schulkontext, rein in ein selbstorganisiertes Studierendenleben. Beim Vergleich der beiden Systeme fällt auf, dass die Schule für junge Menschen mit ASS mehr Routine und gewohnte Strukturen bieten kann, als es anfangs im Studium der Fall ist: Im Schulsystem herrschen i.d.R. feste Strukturen, ein mehr oder weniger beständiger Klassenverband, etablierte Arbeitsweisen sowie gleichbleibende Anprechpartner*innen. Dies gibt dem*der Schüler*in mit ASS Sicherheit und führt dazu, dass er*sie sich gut in seiner*ihrer Umgebung zurechtfinden kann. Im Studium dagegen sind die Strukturen komplexer und müssen zudem i.d.R. selbstständig erschlossen werden. So gibt es z.B. an der Hochschule keinen festen Klassenverband, sondern wechselnde Seminare, Lerngruppen und Lehrpersonal. Zudem geraten u.U. auch feste Strukturen, wie z.B. die eigene Wohnsituation im Kontext der Familie und die Finanzierung des Lebensunterhalts ins Wanken, da ein Studium oft auch mit einem Auszug aus dem Elternhaus verbunden sein kann.
Für Studieninteressierte mit ASS wirkt das Hochschulleben auf den ersten Blick betrachtet, sicherlich zunächst wie ein einziges Chaos: Viele Vorhersehbarkeiten und Routinen gehen dabei erst einmal verloren bzw. es müssen neue studienbezogene Abläufe geschaffen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade Studienanfänger*innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung mit sehr vielen neuen Reizen in der zunächst ungewohnten Umgebung konfrontiert sind. Dies stellt gerade für Autisten*innen eine große Herausforderung dar (siehe dazu Definition ASS & Studieren mit ASS).
Um diese jedoch mit Studienbeginn erfolgreich bewältigen zu können, sollten bestimmte Vorbereitungen getroffen werden, um so möglichst etwaige Unvorhersehbarkeiten vorab aus dem Weg zu räumen zu können. Hierbei sind folgende Aspekte zu beachten:
- Klärung wichtiger Fragen bzgl. der Studienwahl: „Welchen Studiengang möchte ich studieren und wie sind die Zugangsvoraussetzungen hierfür? Benötige ich vielleicht noch vorab ein fachspezifisches Praktikum etc.? Und wie werde ich mein Studium finanzieren?“ Informationen hierzu sind meist im Internet auf den Hochschul-Seiten, bei den Zentralen Studienberatungen vor Ort und im örtlichen Studierendenwerk zu finden (siehe Datenbank).
- Klärung der Frage, „wo möchte ich studieren?“ Diese Fragestellung impliziert die Wahl der Hochschule und der Stadt. Bezüglich der Hochschule gilt es gerade für Studieninteressierte mit ASS abzuwägen, was besser zu der eigenen Situation passt: Ist es vielleicht der kleine Campus, mit möglicherweise engeren sozialen Kontakten (u.a. zu Kommilitonen und lehrenden Dozent*innen), einer guten Übersichtlichkeit und der Zentrierung auf einen Ort oder doch eher ein großer Hochschulstandort? An letzterem ist sicherlich ein anonymes Studium möglich, wobei er i.d.R. auch unübersichtlicher, lauter und z.T. schlechter strukturiert ist. Bezüglich der Stadt bzw. dem hiermit u.U. einhergehenden neuen Wohnort sollte u.a. auch beachtet werden, ob es dort passende autismusspezifische therapeutische (sowie Beratungs-)Angebote gibt und ob ggf. (ambulant) Betreutes Wohnen (- sofern notwendig -) beantragt werden kann. Studieninteressierte können sich auch dazu entscheiden, (erst einmal) im gewohnten Umfeld wohnen zu bleiben, sofern es die Entfernung zum Hochschulort zulässt (siehe Datenbank & Wohnen).
- Um die eigene Entscheidung bzgl. der Hochschulwahl zu stärken, ist es auch für Betroffene i.d.R. sehr hilfreich, vorab u.a. an Informationsveranstaltungen (z.T. online), Schnuppervorlesungen und Probevorlesungen etc. teilzunehmen. Termine hierfür sind i.d.R. auf den Hochschul-Homepages unter der Rubrik „Studieninteressierte“ zu finden.
- Befinden sich letztlich ein oder zwei Wunsch-Hochschulorte in der engeren Wahl, so sollten Studieninteressierte mit ASS hinfahren, um so die Gegebenheiten vor Ort (möglichst detailliert) kennenlernen zu können. Bei der Gelegenheit kann bzw. sollte auch ein Termin mit dem*der Behindertenbeauftragten (- der zentralen Beratungsmöglichkeit vor Ort, siehe Datenbank -) vereinbart werden. Durch den Besuch des Hochschulstandorts sowie einem oder mehrerer Beratungsgespräch(e) können bereits im Vorfeld die Strukturen des Hochschullebens für Studierende mit einer Autismus-Spektrum-Störung klarer und nachvollziehbarer werden. Ist die Entscheidung dann für eine Hochschule gefallen, besteht auch die Möglichkeit, mehrmals hinzufahren. Hierbei kann zugleich auch in Erfahrung gebracht werden, welche weiteren Beratungsmöglichkeiten (wie z.B. der AStA) oder autismusspezifischen Angebote (z.B. Gesprächsgruppe, Peer-Mentoring-Projekt) evtl. zusätzlich an der Hochschule existieren.
- In einem weiteren Schritt muss auch die Frage geklärt werden: „Welchen (erhöhten) Unterstützungsbedarf habe ich als Betroffene*r durch meine Autismus-Spektrum-Störung im Studium?“ Hierbei ist eine Orientierung an dem Bedarf in der zurückliegenden Schulzeit möglich. Um diese Frage hinreichend für sich selbst klären zu können, ist es manchmal auch sinnvoll, Meinungen aus dem direkten Umfeld (wie z.B. durch die Familie, dem ATZ oder Lehrer*innen) einzuholen. Entsteht hierbei das Ergebnis, dass z.B. eine Studienbegleitung bzw. Studienassistenz (u.a. bei der Strukturierung des Studienalltags, dem Auffinden von Räumen oder dem Aufbau von sozialen Kontakten) als Unterstützung dienen kann, so sollte bereits zu diesem Zeitpunkt, also im Übergang Schule – Studium, das Antragsverfahren beginnen, auch wenn noch nicht alle Unterlagen vorliegen. Sie können aber nachgereicht werden (siehe Behinderungsbedingter Mehrbedarf & Teilhabe an Bildung (gemäß § 112 SGB IX-neu)).
- Anschließend beginnt die Phase der Bewerbung und Zulassung zum Studium (siehe Bewerbung und Zulassung & Studieren mit ASS).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Übergang Schule – Studium ein Prozess ist, bei dem es insbesondere für Studieninteressierte mit einer Autismus-Spektrum-Störung darum geht, vorab das Hochschulleben und somit das „neue Unbekannte“ kennenzulernen. Auf diese Weise kann im Idealfall frühzeitig die Struktur der Hochschule erkannt und darauf aufbauend Strategien entwickelt werden, um schließlich mit Studienbeginn mit der neuen Situation adäquat umgehen zu können und einer z.B. Reizüberflutung möglichst entgegenzuwirken.