Die Situation von Studierenden mit psychischer Erkrankung im Hochschulkontext

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Die Aufnahme eines Studiums ist für jede*n Studierende*n ein herausfordernder Schritt im Leben: Er bedeutet das Eintauchen in ein Hochschulsystem, welches nicht nur aus großen Gebäudekomplexen besteht, sondern i.d.R. auch aus selbststrukturierten Studienalltagen, eigens erstellten Stundenplänen, dem Aufbau von neuen sozialen Netzwerken, bestehend aus Kommiliton*innen sowie Lehrenden, dem selbstorganisiertem Lernen, dem eigenständigen Aufsuchen von (Beratungs-)Angeboten bzw. Informationen und vielem mehr.

Um sich in diesem System zurecht zu finden, benötigt i.d.R. fast jede*r Studierende*r eine gewisse Zeit der Eingewöhnung. In dieser Anfangszeit werden meist auch zügig erste soziale Kontakte zu Mitstudierenden geschlossen. Dies geschieht u.a. im Rahmen von Ersti-Veranstaltungen, Hochschulsportangeboten oder aber auch Partys.

Doch was ist mit jenen Studierenden, die eine psychische Erkrankung, Belastung oder Krisenerfahrung haben? Wie kommen sie im Hochschulalltag zurecht? Oftmals fällt es betroffenen Student*innen schwer, sich in neue Strukturen einzugewöhnen, auf Kommiliton*innen und Lehrende zuzugehen, sich in neuen Gruppen einzubringen und (gleichzeitig) soziale Kontakte zu pflegen. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um einen Automatismus: Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Behinderung, ist ein Individuum und geht auf seine eigene Weise mit den genannten Situationen im Studium um. Jedoch ist es häufig auch der Fall, dass sich Studierende mit einer psychischen Erkrankung (zunächst) sozial isoliert fühlen, bzw. sich „anders" im Vergleich zu ihrem Umfeld wahrnehmen. Dies wird zusätzlich begünstigt durch z.T. starke Belastungen, die hervorgerufen werden durch Phobien, Ängste, Zwänge, Stimmungsschwankungen oder depressiven Episoden (siehe Definition „psychische Erkrankung").

Aber wie gestaltet sich die Situation von Studierenden mit psychischer Erkrankungen an deutschen Hochschulen? Sind sie eine Ausnahme?

Diese Frage gilt es vorab zu verneinen, da u.a. die nun aufgeführten (aktuellen) Studien bzw. Umfragen folgendes Bild ergeben:

Die 21. Sozialerhebung (aus 2017; durchgeführt vom Deutschen Studentenwerk sowie dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung) ergab bereits folgende Werte: Im Sommersemester 2016 haben elf Prozent aller Studierenden eine oder mehrere gesundheitliche Beeinträchtigung(en), die sich nach Aussagen der Betroffenen erschwerend auf das Studium auswirken. (Hierbei handelt es sich um einen Anstieg von vier Prozent im Vergleich zu 2012.) Von diesem Personenkreis geben 47 Prozent der Befragten an, dass sie eine psychische Erkrankung entweder als einzige Beeinträchtigung oder als diejenige haben, die sich am stärksten auf das Studium auswirkt.

In Ergänzung zu dieser (regelmäßig stattfindenden) Sozialerhebung wurde von den o.g. Akteur*innen auch die sog. „best2-Umfrage" (aus 2018; als Nachfolge zu „best1" aus 2012) durchgeführt. „Best" steht dabei für „beeinträchtigt studieren". Im Zuge dieser Studie wurden 21.000 Studierende mit studienerschwerenden Beeinträchtigungen im Rahmen einer Online-Erhebung an 153 Hochschulen in Deutschland befragt. Ziel hierbei ist es, detailliertere Daten zur Situation von Studierenden mit Behinderung / chronischer Erkrankung zu erhalten. Die wesentlichen Ergebnisse sehen dabei wie folgt aus: Rund zwei Drittel (67 Prozent) der Befragten, wie auch in der best1-Umfrage (aus 2012), haben eine auf Dauer nicht-sichtbare Beeinträchtigung. Lediglich 4 Prozent (vgl. zur „best1" mit 6 Prozent) haben dagegen eine sichtbare Behinderung / chronische Erkrankung. 53 Prozent der Befragten (- und damit über die Hälfte -) geben an, dass sich eine psychische Erkrankung allein oder am stärksten (im Kontext weiterer Beeinträchtigungen) auf das Studium auswirkt. Im Vergleich zur best1-Studie aus 2012 handelt es sich hierbei um einen Anstieg von 8 Prozent. Die Arten der psychischen Erkrankungen gliedern sich laut der best2-Studie wie folgt auf: Depression (80 %), Angststörung (39 %), Essstörung (16 %) und Persönlichkeitsstörung (7 %).

Der hier bereits zu vermerkende Anstieg an Studierenden mit psychischer Erkrankung schlägt sich auch in der 22. Sozialerhebung nieder, die 2023 veröffentlicht wurde. Im Zuge dieser Befragung geben im Sommersemester 2021 knapp 16 Prozent (- ein Anstieg um 5 Prozent im Vergleich zu 2017 -) aller Studierenden an, von mindestens einer gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffen zu sein, die sich erschwerend auf ihr Studium auswirkt. Zudem benennen insgesamt etwa 65 Prozent der Studierenden mit studienerschwerender Beeinträchtigung, dass sie eine psychische Erkrankung haben. Im Vergleich zu 2017 ist dies ein Anstieg um 18 Prozent.

Diese Studien spiegeln deutlich wider, dass es an deutschen Hochschulen mehr Studierende mit einer psychischen Erkrankung gibt, als von außen wahrnehmbar ist. Zugleich kristallisiert sich auch heraus, dass Betroffene eigentlich mit ihren Problemen und Sorgen gar nicht so sehr allein dastehen, wie oftmals von ihnen vermutet wird. Stattdessen gibt es im Hochschulkontext genügend Peers. Das Problem hierbei jedoch ist, dass sich noch immer viele Studierende mit einer psychischen Erkrankung aus Angst vor Stigmatisierung, Benachteiligung und Ausgrenzung gegen ein Outing entscheiden. Dies ist auch ihr gutes Recht, da das Thema „Outing" nach wie vor sehr individuell, komplex und auch situationsabhängig ist. Es gilt hierbei aber auch zu beachten, dass das Verbergen der eigenen psychischen Erkrankung für manche Betroffene auf Dauer belastend werden kann. Darüber hinaus kann diese Entscheidung zum Grübeln animieren sowie zur Verringerung der eigenen Authentizität oder Aufspaltung in eine öffentliche und private Rolle führen. Insbesondere Letzteres kann sich als sehr kräftezehrend für Betroffene erweisen. Ein offener Umgang dagegen kann soziale Unterstützung und Vernetzung mit (betroffenen oder nicht-betroffenen) Kommiliton*innen bedeuten. Zugleich kann es zu einem selbstbewussteren, offeneren Umgang mit der eigenen psychischen Erkrankung führen (siehe Umgang mit nicht-sichtbarer Behinderung / chronischer Erkrankung).

Weiterführende interne Links:

>> Definition „psychische Erkrankung"

>> Mit psychischer Erkrankung studieren

>> Umgang mit nicht-sichtbarer Behinderung / chronischer Erkrankung


>> Situation von Studierenden mit (nicht-)sichtbaren Behinderung / chronischer Erkrankung

Weiterführende externe Links:
>> DSW: 21. Sozialerhebung (2017)

>> DSW: 22. Sozialerhebung (2023)